Sichtbeton
Sichtbeton ist nicht verputzter oder verblendeter Beton. Seine Ansichtsflächen erfüllen eine gestalterische Funktion. Der Beton als ästhetisches Element wurde vor allem vom architektonischen Baustil des Brutalismus ab den 1950er Jahren aufgegriffen.
Wie entsteht Sichtbeton?
Diese Betonvariante entsteht, indem beim Betonieren die oberflächennahen Schichten mit besonders feinem Zement ausgeführt werden, der aufgrund seiner Feinheit und Fließfähigkeit die Oberfläche und Geometrie der ehemaligen Schalungsbegrenzung gut abbildet. Damit bringt er die Struktur der Schalung zur Geltung. Für die Schalungen können dafür unterschiedliche gestaltete Flachmaterialien zum Einsatz kommen, so unter anderem Wellenmuster oder Sägezahnprofile. Der Deutsche Beton- und Bautechnikverein unterscheidet vier verschiedene Sichtbetonklassen, welche die Anforderungen an die geschalte Sichtbetonfläche definieren. Diese Anforderungen betreffen die Textur (Schalhaut), die Arbeits- und Schalhautfugen, die Ebenmäßigkeit, die Porigkeit und die Farbtongleichmäßigkeit:
- Sichtbetonklasse 1: geringe Anforderungen, beispielsweise für die gewerbliche Nutzung
- Sichtbetonklasse 2: normale Anforderungen, beispielsweise für Stützwände und Treppenhausräume
- Sichtbetonklasse 3: erhöhte Anforderungen, beispielsweise für Fassaden im Hochbau
- Sichtbetonklasse 4: besonders hohe Anforderungen, beispielsweise für repräsentative Wände im Hochbau
Beispiele für Sichtbeton bei verschiedenen Bauten
Die ersten Beispiele für die ästhetische Verwendung der Betonoberfläche gibt es aus der Architektur der 1920er bis 1930er Jahre. Der Architekt Michael Rosenauer gestaltete das Wiener Dorotheum-Fünfhaus auf diese Weise, der Architekt Hermann Reinhard Alker das Karlsruher Alte Stadion. Sie setzten dabei das sogenannte Contex-Verfahren ein, dessen Name sich von „concrete-texture“ ableitete. Dabei behandelten sie die Oberfläche des grobkörnigen Betons mit einem lackartigen Anstrich und/oder entfernten das äußere Zement-Sand-Gemisch durch Waschen und Bürsten großflächig, um die Zuschlagstoffe sichtbar zu machen. Damit schufen sie schon einen Vorläufer des Waschbetons, der sich ab den 1960er Jahren durchsetzte. Sukzessive entwickelten sich weitere Formen:
- Fotobeton entsteht durch ein relativ modernes Verfahren, das Ornamente und Bilder in den Beton graviert.
- Strukturbeton erhält seine Struktur durch spezielle Schalungen.
Im Kirchenbau wurde schon im frühen 20. Jahrhundert Stahlbeton als Sichtbeton gestaltet. Beispiele liefern die Lutherkirche in Bad Steben, die Pauluskirche in Ulm, die St.-Konrad-Kirche in Freiburg und die Antoniuskirche in Basel, die alle bis 1930 entstanden waren. 1955 baute Le Corbusier seine Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut de Ronchamp mit Sichtbeton. Schon vorher war das zweite Goetheanum in Dornach mit einer Sichtbetonfassade errichtet worden.
Die Technik setzte sich auch in Bildhauerei durch, die den besonderen Beton gern mit Holz kombiniert. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen die Autobahnämter, auch an die Brückenpfeiler von Autobahnen höhere ästhetische Anforderungen zu stellen, sodass diese seither ebenfalls in Sichtbetonkosmetik errichtet werden.